Man kann keinen Artikel über die Retro Ronde schreiben, ohne die L’Eroica zu erwähnen. Die Mutter aller Klassiker-Rundfahrten platzt aus allen Nähten, schon monatelang vorher wird in den Foren über Räder, Strecke und Anreise diskutiert. Zu Recht, wenn man den Charme und Flair der Veranstaltung in Gaiole einmal miterlebt hat. Aber nicht nur in Italien kann man alte Renner über anspruchsvolle Strecken bewegen, das Radsportland Belgien beweißt dies seit fünf Jahren mit der Retro Ronde van Vlaanderen in Oudenaarde.
Kaum ein Landstreifen hat sich über all die Jahre solch eine umfangreiche Radsporttradition erhalten wie Flandern. Neben einem der bedeutendsten Eintagesklassiker, der 1913 zum ersten Mal durchgeführten Flandernrundfahrt, kommen von hier unzählige Legenden des Radsports, allen voran natürlich der Nationalheld Eddy Merckx. Seinen Erfolgen ist es sicherlich auch zu verdanken, dass der Radsport in Belgien noch heute tief verwurzelt ist & verglichen mit Deutschland eine ganz andere Reputation besitzt.
Das gesamte Jahr über kann der geneigte Radsportler auf der Eddy Merckx-Route und unzähligen anderen Tourvorschlägen die Landschaft Flanderns erkunden und Freundschaft mit üblen Kopfsteinpflasterpassagen und gemeinen kleinen Wegen mit einer Steigung jenseits der 20% schliessen. Mitfahrer sind garantiert schnell gefunden, es wimmelt auf den Strassen von Rennradfahrern. Sowas nennt man dann Nationalsport.
Die Retro Ronde 2011
Am Samstag gab’s einen Teilemarkt, klein, fein und stellenweise äußerst preisgünstig. Mehr schreib ich nicht, sonst kratzen da im nächsten Jahr die Schnäppchenjäger schon um 6.00 Uhr an der Tür.
Ansonsten gab es wie immer auf solchen Teilemärkten sehr interessante und informative Plaudereien mit angenehmen Zeitgenossen und Kennern der Materie. Man merkt, wie viel Anstrengung die Entscheidung gekostet hat, sich von einem seiner gehegten & gepflegten Schätze zu trennen. Radsportler sind gute Menschen. Vor allem dann, wenn sie sich für den alten Kram begeistern können.
Ein wunderbarer Rückzugsort, um die auf dem Teilemarkt und in der Radsportboutique erworbenen Kleinigkeiten angeberisch auf dem Tisch zu verteilen, ist das an das Museum angrenzende Radsportlercafe. Eingerahmt von alten Trikots und Bildern der Radsportgeschichte schmeckt gleich alles viel besser. Selbst wenn die ankommenden Jungs am Tisch nebenan gerade noch von der schweisstreibend-schnell gefahrenen Tour ausdünsten.
Sonntagmorgen um 9.00 Uhr füllte sich dann der Vorplatz des Radsportmuseums mit authentisch gekleideten Fahrern wirklich aller Nationen.
Gute Laune & tolle Räder allerorten. Was auffiel: neben den älteren Herren, die ihre Jugend erfolgreich wieder erwecken, waren viele junge Fahrerinnen & Fahrer dabei. Kids im traditionellen 70er Jahre Radleroutfit, Sonnenbrillenbewehrte SuperHipsterStylePäpste mit hochgekrempelter Jeans, Turnschuhen und dem Brilli im Ohr, junge Gelegenheitsfahrer mit Wasserrohr-Peugeot neben Nachwuchsradsportlern, die es wirklich ernst meinen. In Belgien ist Radsport hip. Generationsübergreifend in all seinen Schattierungen.
Angeboten wurde eine Strecke über 40km und eine Verlängerung auf 70km. Dies hat den Vorteil, dass alle Beteiligten die 40km gemeinsam bestreiten, die sportlich ambitionierten Radler dann noch 30km dranhängen können. Der kürzere Rundkurs umfasste nur kleinere Anstiege wie De Nokereberg, dessen Kopfsteinpflasterpassagen sich aber mal gerne als Materialkiller erwiesen und einige ambitionierte Piloten direkt zu Beginn an das Ende des Feldes verwiesen. Auch einige unbefestigte Streckenabschnitte über Waldboden & Schotterwege ließen L’Eroica-Feeling aufkommen.
Die 30 Bonuskilometer machten dann auch dem ambitionierten Kletterer Spaß, einige wirklich knackige Anstiege, teilweise gepaart mit Kopfsteinpflaster zwangen nicht wenige zum Schieben. Auffahrten wie De Oude Kwaremont oder Steenbeekberg waren bereits des öfteren Teil der Flandernrundfahrt der Profis, somit fühlte man sich nach dem Erklimmen dieser Hügel aufgenommen im Olymp der legendären Radsportler. Und sei es nur für ein paar Sekunden.
Auf die 70km verteilt gab es insgesamt fünf Kontroll- und Verpflegungsstationen, alle vorbildlich organisiert und abwechslungsreich in der Auswahl der Energielieferanten: Eis, Honigkuchen, Erdbeeren, Reiskuchen, Schokoriegel, Mini-Schinkentoast, Orangen und natürlich die klassische belgische Waffel. Diese Aufzählung beinhaltet die Dinge, die wir gegessen haben, es gab aber noch mehr, aber wir haben nicht mehr geschafft. Wer während der Ronde an einem Hungerast litt, dem war nicht zu helfen. Verglichen mit den Energieriegeln zweifelhafter Herkunft bei einigen deutschen RTFs wurden kulinarische Leckerbissen der Region serviert.
Es erscheint schon merkwürdig, dass bei solch einer abwechslungsreichen und vorbildlich organisierten Tour durch eine tolle Landschaft lediglich 180 Fahrer den Weg nach Oudenaarde fanden, während im Oktober die L’Eroica die Teilnehmerzahl auf 3500 Personen beschränken muss. Sicherlich hat auch die zeitgleich stattfindende Tour de Trois rund um Basel ihren Einfluss auf die Teilnehmerzahl gehabt. Einen Wehrmutstropfen der Retro Ronde möchten wir auch nicht verschweigen: der “Molteni geurhanger met bosgeur” ist die Hölle. Ich würde das Teil gerne als Andenken behalten, aber selbst eingepackt verpestet die Chemiekeule in Form eines Trikots mit seinem Klosteinduft alles im Umkreis von 5 Metern. Unfassbar. Bitte im nächsten Jahr ne schicke RetroRonde-Mütze. Hier sollte jetzt son Grinsegesicht stehen, damit jeder die Ironie erahnt. Lass ich mal & hoffe auf intelligente Leser.
Wie auch immer: wir trommeln gerne für diese Rundfahrt. Damit sich im nächsten Jahr viele Radsportbegeisterte nach Flandern aufmachen, um auf einem alten Renner die Wege unsicher zu machen. Mehr Spaß geht kaum. Und im Oktober kann man trotzdem noch den Weg nach Italien antreten.
Mehr Infos und Bilder unter http://www.crvv.be/en
Sehr schöne & stimmungsvolle Bilder der Veranstaltung gibt es übrigens bei unseren holländischen Radsportfreunden vom Stalen Ros: http://www.dropbox.com/gallery/18805782/1//Retroronde%202011_06_26?h=ec0ad4&p=0#/
Danke!
see u guys next year again @ retroronde