Herbstzeit-Winterzeit. Die Tage sind kurz, die Nächte lang und am Sonntagmorgen begrüßt uns der Himmel gerne mal grau-in-grau. Garniert mit Nieselregen, Nebel und eisiger Kälte. Herzlich willkommen beim Infight mit dem inneren Schweinehund: Rad fahren oder liegenbleiben. Generell raten wir zur Flachlandausfahrt mit gleichbleibender Geschwindigkeit, gerne mit dem Singlespeed. Alternative: im Bett bleiben und Radsportbücher lesen. Manche davon motivieren so sehr, dass man ne halbe Stunde später eh auf dem Rad sitzt.
Eben Weiss, New Yorker Radfahrer mit gehobenem Mitteilungsbedürfnis, großartigem Humor und nem ordentlichen Bündel an Kreativität bloggt seit Jahren unter dem Namen Bike Snob NYC über unser liebstes Fortbewegungsmittel und alle möglichen und unmöglichen Verkehrsteilnehmer. Sein erstes, leider bisher nur auf Englisch erschienenes Buch hat sich vom Geheimtipp zum Standardwerk urbaner Fahrradkultur gemausert. Sein zweites Werk, „The enlightend Cyclist“, will nun aus uns allen bessere Radfahrer, ach Quatsch, bessere Menschen machen. Buddhistisch geprägte Wohlfühlkultur statt Kleinkrieg im Straßenverkehr, netter Umgang auf überfüllten Strassen, „Gute Fahrt“ statt „Wich***“. Fundiert und mit übergroßem Augenzwinkern vermittelt uns Weiss anhand solcher legendären und allseits etablierter Parameter wie dem „Dachshund of Time“ historische Zusammenhänge und beschreibt unser eigenes, manchmal grotesk anmutendes Verhalten, sobald wir rollen. Wir fühlen uns ertappt, geloben Besserung und arbeiten an unserer Erleuchtung. Versprochen. Und bei der Lektüre haben wie zigmal schallend gelacht, ganz im Sinne des Verfassers. Ein Ratgeber der ganz besonderen Art. Es empfiehlt sich, dieses Buch direkt in Stapeln zu kaufen, um damit an Ampeln alle verhaltensauffälligen Aspiranten zu beglücken.
Weniger amüsant, aber nicht weniger aufschlußreich und erhellend ist David Millars Radsportbiografie „Vollblutrennfahrer“. Der schottische Ex-Weltmeister schildert hier seine Odysse vom erfolgreichen, jugendlichen Amateursportler zum dopenden, desillusionierten Profi und seine Rückkehr zum Peloton. Ein ehrlicher Blick von innen auf den Radsportzirkus und die dort vorhandene Begeisterung für leistungssteigernde Substanzen. Nach der Veröffentlichung dieses Buchs glaubt man Millar, dass er dem Doping für immer abgeschworen hat, seine Siege wie zB der Etappensieg bei der TdF in diesem Jahr haben somit auch symbolischen Wert für junge Profis. Im Gegensatz zu vielen anderen Fahrern hat er bewiesen, dass eine ehrliche Auseinandersetzung mit den eigenen Fehlentscheidungen auch einen neuen Anfang ermöglicht. Anscheinend sowohl unter (ehemaligen) Fahrern als auch unter Funktionären der Radsportverbände eine sehr exklusive Haltung. Ansonsten hoffen wir weiter auf die große Revolution, die die alten Seilschaften bei den Verbänden hinwegfegt. Reset auf allen Ebenen, Radsport 2.0. Ein Anfang wurde ja gerade gemacht…
Nun zum wärmenden Sonnenschein unter der Radsportliteratur: Paul Fournels Erzählungen unter dem Titel “Die Liebe zum Fahrrad”. Der Autor, 1947 als Sohn eines Buchhändlers geboren, mehrfach ausgezeichneter Schriftsteller, Lektor, ehemaliger Kulturattaché und passionierter Rennradfahrer, schenkt uns 181 Seiten pure Motivation. Alle Facetten des Radsports, des Radfahrens werden charmant und unterhaltsam beleuchtet: der erste Sturz, die Entdeckungen im Umland, Ausfahrten mit der Gruppe, Doping, das Altern mit dem Rad, Fahrten in der Stadt. Alle Geschichten sind authentisch und geistreich, man merkt, welch kluger und eloquenter Kopf hinter diesem Buch steckt. Aber der wichtigste, schönste Aspekt dieses Buchs ist seine Wirkung, kaum hat man ein oder zwei kleine Geschichten gelesen, blickt man aus dem Fenster, empfindet auch strömenden Regen als halb so wild, schlüpft in seine Schlechtwettermontur und setzt sich auf das Rad.
Das Buch ist derzeit in einer richtig schönen, gebundenen Ausgabe erhältlich. Parallel würde sich eine kleine, Trikottaschengroße Edition anbieten. Als legales Doping bei den kleinen Durchhängern, die man unterwegs so erleben kann. Ein bis zwei Kapitel unterwegs helfen mehr als jede chemische Substanz. Immer wieder, ohne Verschleißerscheinungen, allerdings mit einem kleinen, vertretbaren Suchtfaktor. Die Macht des Wortes in seiner allerschönsten Form, eine Verführung zum Glück auf zwei Rädern.
Nun fehlt nur noch das ultimative Coffeetablebook. Der Fotoband zum Durchblättern. Schöne, legendäre Räder, tolle, detaillierte Bilder, fundierte Infos. Kompetent und geschmackvoll zusammengestellt. Hier ist es: „Meisterwerke des Fahrradbaus: Handwerkskunst, Design und Technik“. Herausgegeben vom “Bicycle Quarterly”-Chefredakteur Jan Heine, brillant fotografiert von Jean-Pierre Pradères. Die Originalausgabe „Handbuilt Bicycles“ gilt seit ihrem Erscheinen als das Standardwerk für Freunde handgebauter Rennräder. Die Aufbauten legendärer Rahmenbauer wie René Herse, Alex Singer oder Gilles Berthoud begeistern nicht nur Sammler und Fahrradnerds mit Ideenreichtum und ausgefallenen Detaillösungen, der Ästhetik dieser Räder können sich alle Menschen mit gutem Geschmack und einem Faible für Technik nur schwerlich entziehen.
Wer nicht genug bekommen kann von tollen Bildern perfekter Renner: das Team Heine und Pradères hat auch den Bildband „Räder der Sieger“ zusammengestellt. Hier werden legendäre Rennmaschinen von Fausto Coppi, Gino Bartali, Eddy Merckx ausführlich vorgestellt. Pflichtprogramm für Radsportler mit Hang zu Klassikern.
Titelliste:
Bike Snob NYC – The Enlightened Cyclist: Commuter Angst, Dangerous Drivers, and Other Obstacles on the Path to Two-Wheeled Trancendence
Chronicle Books 2012, ISBN 978-1-452105-00-0
David Millar; Jeremy Whittle: Vollblutrennfahrer – Meine zwei Leben als Radprofi
Covadonga Verlag, 2012, ISBN 978-3-936973-71-6; € 16,80
Paul Fournel: Die Liebe zum Fahrrad
Covadonga Verlag, 2012; ISBN 978-3-936973-65-5, € 16,80
Jan Heine; Jean-Pierre Pradères: Meisterwerke des Fahrradbaus – Handwerkskunst – Design – Technik
Covadonga Verlag 2012, ISBN 978-3-936973-69-3, € 39,80
Jan Heine; Jean-Pierre Pradères: Die Räder der Sieger
Covadonga Verlag 2009, ISBN 978-3-936973-46-4, € 39,80
Die Bücher des Covadonga-Verlags können in gut sortierten Buchhandlungen gekauft oder auch bestellt werden. Oder online direkt beim Verlag.
Beim englischsprachigen Buch hilft ihnen ihre Buchhandlung um die Ecke gerne weiter.